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Emotionen
Psychische Gesundheit

Emotionen

Dezember 2020

Die Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen hält uns gesund – psychisch und physisch. Doch wie können emotionale Kompetenzen gestärkt werden? Und wie lernen wir, über Gefühle zusprechen?
In der aktuellen Ausgabe dreht sich alles rund ums Thema Emotionen.
Zusätzlich präsentieren wir den aktuellen Zürcher Gesundheitsbericht. Der Beitrag stellt Zusammenhänge zwischen dem Lebensstil und der Gesundheit vor.

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Gefühle sind kein leichtes Spiel

Emotionale Kompetenzen sind uns täglich eine grosse Hilfe. Doch die eigenen Gefühle zu benennen und zu regulieren, will gelernt sein.
Text: Andrea Samson

Gefühle?! Wie lästig sie doch sein können, wenn sie uns hemmen und einschränken, wie beispielsweise die nahezu lähmende Angst vor einer Prüfung; wie beflügelnd sie aber auch sein können, wenn sie uns zu neuen Taten schreiten lassen – wie Enthusiasmus, Neugier und Lebenslust. Wir alle empfinden Emotionen, tagein tagaus – doch wie lassen sie sich definieren? Wozu sind sie da? Und: Ist es eine Kunst mit seinen eigenen Emotionen umzugehen?

Wie eine Emotion entsteht
Emotionen entstehen, wenn sich unsere Aufmerksamkeit auf eine Gegebenheit lenkt, welche wir als für uns bedeutsam einstufen. Dies kann ein wichtiges Ereignis sein wie die Geburt eines Kindes, aber auch Veränderungen in unserem alltäglichen Leben wie ein Kaffee, der sich unerwartet über die Tastatur unseres Laptops ergiesst. Wir nehmen diese Ereignisse als «relevant» wahr und wir bewerten sie als mehr oder weniger gut oder schlecht. Im Fall des ausgeschütteten Kaffees vermutlich als ausgesprochen schlecht, da es sich doch um unseren Arbeitscomputer handelte. Die Bewertung des Ereignisses kann zum Auslösen einer Emotion führen, welche sich aus Gefühl, einer körperlichen Reaktion und einer «Handlungstendenz» zusammensetzt. Die ersten beiden Komponenten sind einfach nachzuvollziehen: Ich bin erschrocken und entsetzt, dementsprechend reagiert mein Körper mit Anspannung, mein Herz klopft schnell. Was ist aber die Handlungstendenz? Dies ist die Bereitschaft des Körpers auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren, zum Beispiel blitzschnell den Laptop umzudrehen – vielleicht kann damit ja noch ein grösserer Schaden vermieden werden. Diese drei Teile – Gefühl, körperliche Reaktion und Handlungstendenz – machen Emotionen aus. Und genau diese führen auch dazu, dass uns Emotionen im Alltag motivieren, aber auch hemmen können. Nicht alles daran können wir bewusst steuern, aber wie lange wir uns über den nassen Computer ärgern wollen, während eine andere Aufgabe wartet, oder ob wir in Zukunft in der Nähe von Tastaturen noch Kaffee trinken, wird durchaus Einfluss auf sie nehmen. Daraus erwächst die Kunst Gefühle im Alltag so einzusetzen, dass sie uns behilflich sind und somit das lebenslange Erlernen von «emotionalen Kompetenzen». Was ist das? Und wie erlernt man das?

Emotionale Kompetenzen
Zu den emotionalen Kompetenzen gehört zuallererst, Emotionen bei sich selbst zu erkennen. Was empfinde ich gerade? Was kann ich mit dem Gefühl anfangen? Habe ich etwas davon oder nicht? Um hier verlässliche Antworten zu finden, muss man lernen, wie man Gefühle richtig erkennt und entsprechend benennt. Dies ist wichtig, da verschiedene Emotionen unterschiedliche Auslöser haben und unterschiedliche Handlungstendenzen nach sich ziehen. Jemand der nur sagen kann, dass er sich «schlecht» fühlt, aber nicht unterschieden kann, ob er wütend, enttäuscht oder traurig ist, wird Schwierigkeiten haben, den Ursprung seiner Emotion zu erkennen. Es wird dann auch schwierig, die Handlungstendenzen richtig zu deuten und diese adäquat umzusetzen.

Weiterer Bestandteil emotionaler Kompetenzen ist die Emotionsregulation – die Fähigkeit, unsere Emotionen zu beeinflussen und zu lenken, möglichst in eine Richtung, die uns weiterhilft. Manchmal möchten wir die Intensität negativer Gefühle drosseln, ein unangenehmes Gefühl grad gänzlich unterbinden, manchmal möchten wir angenehme Emotionen verstärken, verlängern, oder gerade erst auslösen. Dafür haben wir viele Strategien – mehr oder weniger bewusst – erlernt. Wir vermeiden Situationen, von denen wir glauben, dass sie negative Gefühle hervorrufen und suchen solche, die uns positive Gefühle versprechen.

Sind wir aber bereits in einer emotionalen Situation, versuchen wir diese zu verändern, um uns besser zu fühlen. Manchmal reicht es aber auch, uns abzulenken oder eine Situation unter einem veränderten Blickwinkel zu betrachten. Letzteres ist eine Strategie von der man weiss, dass sie, sich positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt, wenn man sie häufig und dem Kontext angepasst einsetzt. Aber auch wenn eine Emotion schon präsent ist, kann man sie noch beeinflussen, indem man den Ausdruck verändert – verstärkt, abschwächt, verbirgt oder gar vollständig unterdrückt. Die Fähigkeit Emotionen zu benennen und zu regulieren geht einher mit einer grösseren Stresstoleranz, besseren soziale Beziehungen zu Hause und am Arbeitsplatz und einem grösseren sozialen Netz, weniger Depression und Ängsten, weniger Aggression.

Lebenslanges Erlernen
Mit diesen Fertigkeiten wird man nicht geboren (abgesehen von einem eingeschränkten Repertoire von Verhaltensmustern bei Kleinkindern wie dem «Nuckeln» oder dem Abwenden des Blicks). Man muss lernen, wie man seine Gefühle erkennt, richtig deutet und allenfalls reguliert. Dies passiert anfänglich in der Dyade mit den primären Bezugspersonen, weitet sich auf Lehrpersonen und andere Erziehungspersonen aus und wird durch die Erlebnisse mit Gleichaltrigen gefördert. Neueste Forschung zeigt zudem, dass sich der Umgang mit den Emotionen sogar bis ins Alter hinein anpasst und verändert. Emotionale Kompetenzen werden ein Leben lang auf die Probe gestellt, da uns immer wieder Herausforderungen geboten werden, denen wir noch nicht gewachsen zu sein scheinen. Auch gibt es etliche Faktoren, welche die Entwicklung emotionaler Kompetenzen beeinflussen: die Fähigkeiten der Bezugspersonen mit ihren eigenen Emotionen umzugehen und so als Vorbild dienen zu können, das kindliche Temperament, soziale Probleme oder schwierige Lebenssituationen. In diesem jahrelangen Prozess des Lernens mit sich und seinen Gefühlen umzugehen, klappt natürlich nicht immer alles so, wie wir es uns wünschen würden. Emotionale Kompetenzen sind nicht nur bei verschiedenen psychischen Störungen beeinträchtigt, auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Entwicklungsstörungen (z.B. Autismus Spektrum Störungen) haben es oft schwerer, emotionale Kompetenzen zu erlernen.

Den Umgang mit Emotionen fördern
Eine Möglichkeit emotionale Kompetenzen zu fördern ist, das Gespräch darüber anzuregen. Die innovative Kampagne «Wie geht’s dir?» (siehe Bericht S. 8), ist ein kreatives Beispiel, die Menschen jeglichen Alters dazu bewegen will, öfter oder anders über ihre Emotionen zu sprechen.

«Spielerisch» ist auch ein wichtiges Stichwort, wenn man die Frage beantworten möchte, wie Kinder ihre Emotionen erlernen und testen. Beobachtet man Kinder, sieht man, wie sie im Spiel mit anderen ihre Emotionen ausprobieren, erproben, nachspielen, und auch herausfordern (man erinnere sich an die unglaubliche Frustration, wenn man zum ersten Mal beim Mensch-Ärger-Dich-nicht verloren hat). Diesen Umstand haben wir uns in einem grossangelegten Forschungsprojekt zu Nutze gemacht: Aufbauend auf Emotionstheorien haben wir gemeinsam mit Game Designern mehrere Gesellschaftsspiele entwickelt, bei denen es um das Erkennen, die Benennung und Regulation der eigenen Emotionen und derjenigen der anderen geht. Eine erste Studie hat gezeigt, dass die Kinder Spass an den Spielen haben und sich ihre emotionalen Kompetenzen auf die Wahrnehmung der Spiele auswirken. Nun werden die Spiele in weiteren Studien im Schulkontext eingesetzt, um zu testen, ob man emotionale Kompetenzen durch das Spielen dieser Spiele tatsächlich fördern kann. Sollten diese Studien positive Ergebnisse erzielen, können die Spiele durchaus ein Werkzeug für Lehr- und Erziehungspersonen sowie Familien darstellen, um Emotionen zu thematisieren und den Umgang mit ihnen zu üben. Das Schöne an diesen Spielen ist, dass sie nicht nur einen pädagogischen Wert haben, sondern gleichzeitig Spass machen. Denn Lernen geht am einfachsten, wenn positive Emotionen im Spiel sind.

Prof. Andrea Samson
Leiterin des chEERS Lab
Ausserordentliche Professorin in Psychologie, FernUni Schweiz
SNSF Professorin, Universität Fribourg

Das Forschungsteam chEERSLab, geleitet von Prof. Andrea Samson, befasst sich mit Emotionen und deren Regulation bei Menschen mit und ohne Entwicklungsstörungen. Zudem ist das Team auch daran interessiert, Trainingsprogramme (unter anderem in der virtuellen Realität) und Gesellschaftsspiele zu entwickeln, welche das Erlernen von emotionalen Kompetenzen erleichtern sollen.