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Jugend<br/>#esistkompliziert

Jugend
#esistkompliziert

Dezember 2017

Gesund erwachsen zu werden, ist gar nicht immer einfach. Anhand von Beispielen wird gezeigt, wie es doch gelingen kann. Dabei kommen auch die Jugendlichen selbst zu Wort.
- Der ungesunde Traum vom perfekten Körper
- Let's talk about sex! Nur wie?
- Gesundes Aufwachsen fördern
- Fokus Gemeinde: Finde deinen Sport
- Interview zu Jugendarbeit

Diese Ausgabe ist vergriffen und nur noch als Download verfügbar. 

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Let’s talk about sex! Nur wie?

Die Beratenden der Fachstelle liebesexundsoweiter sprechen mit Jugendlichen über Sex. Das Ziel: Fragen beantworten und die Auseinandersetzung mit eigenen Haltungen zu Sexualität fördern.
Text: Martin Bernhard

Die sexualpädagogische Fachstelle liebesexundsoweiter arbeitet mit Schulklassen im ganzen Kanton Zürich. Im letzten Jahr waren die Fachleute mit mehr als 6000 Jugendlichen im Gespräch. Im Volksschulalter, d.h. vom 5. bis 9. Schuljahr, sind diese Einsätze geschlechtergetrennt. Sie erfolgen immer auf Anfrage der Schule und ergänzen den sexualkundlichen Unterricht. liebesexundsoweiter arbeitet aber vor allem an Mittel- und Berufsfachschulen. In dieser Stufe werden die Auffrischungsmodule zu sexueller Gesundheit flächendeckend durchgeführt.

Neugier, Zurückhaltung, Ernstfall
Das Gespräch und die Informationen über Sexualität müssen dem Alter und dem Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen Rechnung tragen. Bei Sechstklässlern steht dabei die Neugier im Vordergrund: «Tut es weh, wenn die Periode kommt?», «Wie lange geht Sex?» - und «Wie lange muss man Sex haben, bis es ein Kind gibt?». Die Kinder fragen spontan nach, und eine Antwort löst meist die nächste Frage aus. Die Kinder haben ein Recht darauf zu wissen, wie die Welt funktioniert. Und erst recht, was mit dem eigenen Körper passiert.

Jugendliche im Oberstufenalter sind meist zurückhaltender. Man weiss doch schon alles. Und wenn man es nicht weiss, dann soll niemand wissen, dass man es nicht weiss. Einen guten Zugang kann hier das Gespräch über Verhütungsmittel oder sexuell übertragbare Infektionen bieten. «Wie würde ich verhüten? Wo würde ich Kondome kaufen und wie weiss ich, welche Grösse?» Oder «Eine Geschlechtskrankheit? Könnte mir das überhaupt passieren?». Diese Fragen führen dann rasch zum Gespräch über eigene Vorstellungen. Was wäre einem wichtig, wenn man mit jemandem Sex hätte? Welche Bedingungen müssten erfüllt sein? Wäre es vor allem eine Frage des Alters? Oder der eigenen Lust? Oder des Vertrauens? Oder der Liebe?

In der Lehre oder im Gymnasium stehen Jugendliche an einem anderen Punkt. Viele haben erste Beziehungen, oft auch erste sexuelle Kontakte oder stehen absehbar davor. Das Gespräch über Sexualität ist in diesem Alter viel konkreter. Und die Fragen auch. Immer kann jemand aus eigener Erfahrung mitreden. Sei es, weil die Verhütung nicht funktionierte, sei es, weil ein sexuelles Erlebnis bereut wird oder weil sich jemand Sorgen wegen einer Geschlechtskrankheit macht. Natürlich wird nicht alles im Klassenverband diskutiert, aber die Fragen sind da und damit auch das Interesse am Gespräch über sexuelle Gesundheit. In der Auswertung der Berufsschuleinsätze im letzten Schuljahr sagten 50% der Jugendlichen, sie hätten lieber länger als zwei Lektionen über diese Themen gesprochen.

Sexuelle Gesundheit – was heisst das?
Wenn Jugendliche den Begriff «Sexuelle Gesundheit» definieren, kommt oft zuerst: «Aids» oder eben der Schutz davor. Bei Erwachsenen wäre das vermutlich nicht anders. «Gesund ist, wer nicht krank ist». Zur Aktualisierung des Wissens gehört vielfach auch eine Korrektur von Mythen oder von früher Gehörtem. Als Beispiel drei Fakten, die für viele neu sind: HIV-Infizierte Personen sind heute meist nicht mehr ansteckend, wenn sie Medikamente nehmen; die «Pille danach» ist keine Hormonbombe mit schweren Nebenwirkungen; viele junge Menschen sind mit HPV (humane Papillomaviren) infiziert, meist ohne das selbst zu wissen.

Unser Gesundheitsbegriff geht über die Verhütung von Krankheiten und Schwangerschaft hinaus. Wir versuchen, die Diskussionen möglichst nahe an der Lebenswelt der Jugendlichen zu führen. Häufig prallen da unterschiedliche Meinungen und Haltungen aufeinander, beispielsweise bei der Frage: «Wie würde ich reagieren, wenn ein Kollege mir anvertrauen würde, er sei schwul?» Oder beim Thema Pornografie. Vier von fünf Jugendlichen sagen, Pornografie hätte einen Einfluss auf die Entwicklung von jungen Menschen. Ob es sich aber um einen guten oder schlechten Einfluss handelt, da gehen ihre Meinungen auseinander. Ähnlich, wenn es um Erwartungen und Verantwortung in sexuellen Beziehungen geht. «Wer sich zu Sex überreden lässt, ist selber schuld», sagen viele. Wenn man dann etwas tiefer geht, sind die Haltungen dazu differenzierter. «Könnte ich wirklich immer nein sagen, wenn es nicht 100% ja ist?»

Eine echte Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist nur möglich, wenn Jugendliche selbst zu Wort kommen, ihre Gedanken darlegen und diskutieren können und dabei ernst genommen werden. Genau da liegt die Chance, dass sie sich ihrer eigenen Haltungen bewusst werden und diese auch hinterfragen. Wenn das dazu beiträgt, dass junge Menschen einen selbstverantwortlichen und lustvollen Umgang mit ihrer eigenen Sexualität finden können, haben wir viel erreicht.

Martin Bernhard
Geschäftsleiter
Sexualpädagogische Fachstelle
liebesexundsoweiter, Winterthur
Tel. 052 212 81 41
mb(at)liebesexundsoweiter.ch

Fünf Gesprächstipps

Im Alltag über Sexualität reden wie über anderes auch. Eine Schlagzeile aus einer Gratiszeitung kann da beispielsweise schon dienen.

Sexualität wird zu oft problematisiert (Krankheiten, Pornografie, Sexting, Übergriffe etc.). Schade! Die Lust, die positive Energie kommt da zu kurz.

Man ist immer Vorbild. Wie man mit Jugendlichen über Sexualität spricht – und ob man es überhaupt tut – hat einen Einfluss.

Authentisch bleiben. Eigene Haltung transparent machen.

Junge ernst nehmen! Möglichst nahe an der Lebenswelt der Jugendlichen sein bedeutet nicht, eine Jugendsprache zu übernehmen, sondern sie in ihren Fragen ernst zu nehmen.